Auf Cthulhus Spur

Gepflegtes Rollenspiel rund um den kriechenden Wahnsinn

門前で (Monzen de) – Vor dem Tor

Wir sind gestern nach Highclere Castle zurückgekehrt. In den vergangenen fünf Tagen hat sich zwischen Bibliotheksbesuchen, Spaziergängen, Therapiesitzungen und Trainingsstunden fast so etwas wie Routine in unseren Leben eingestellt, die uns allen gut tat. Hinzu kommt, dass der Frühling nun auch langsam aber sicher Einzug hält, was zumindest meinem Gemütszustand überaus zuträglich ist.

Wir haben einiges über die Hunde von Tindalos herausgefunden. Sie besitzen nicht nur die Fähigkeit, aus ihrer Heimatwelt in unsere Welt der euklidischen Geometrie zu wechseln, sondern sind darüber hinaus in der Lage, sich in Sekundenschnelle über große Distanzen zu teleportieren. Wir haben auch erfahren, dass es einen Zauber gibt, um die Hunde von Tindalos zu rufen oder zu bannen, doch handelt es sich dabei nicht um einfache Magie, sondern um ein Ritual, dessen Ausführung etwa eine halbe Stunde benötigen würde, zu lang, um das plötzliche Erscheinen des Hundes zu verhindern. Und es gibt neue Pläne für ein Versteck für die Kugeln. Unter dem Beacon Hill im Garten von Highclere Castle soll ein Tresor in Form einer Sphäre in den Boden gebaut werden.

Als wir heute morgen am Frühstückstisch zusammensitzen, erzählen Mare und Mycroft von ihrem nächtlichen Besuch in den Traumlanden. Sie hatten Pilze gesucht, welche von der Sorte, die die Fähigkeit des Träumens verstärken können, und sie hatten auch welche gefunden. Im verwunschenen Wald, berichten sie, gibt es nun auch wandelnde Bäume, solcher Art, wie sie uns am Wildenberg begegnet sind womöglich. Besorgnis erregt die Erkenntnis, dass sich um den Bereich, an dem die Kugeln vergraben wurden, ein kaum sichtbarer Lichtkreis gebildet hatte, der sich seitdem ausgedehnt hat und nun über einen Radius von mehr als zwei Meter verfügt. Mare erzählt, dass sie bedauert, dass sie den Weg nach Canas nicht finden kann, sie braucht etwas, das es nur bei Esme gibt. Ich bin mit meinen Gedanken etwas abwesend und höre nur halb zu. Es ist noch nicht so ganz meine Tageszeit.

Nach dem Mittagessen lasse ich mich von Mare nach Curdridge Hill fahren. Ich will mich nicht lange aufhalten, nur ein paar frische Kleider einpacken und dann zurück. Heute ist Halbmond und das Portal nach Ulthar in Joes Haus steht des Nachts offen. Wir wollen die Pilze, die Mare und Mycroft letzte Nacht gesammelt haben, in die Wachwelt bringen, damit Mari-chan daraus ihre Traumdrogen extrahieren kann. Die Straßen sind wieder eisfrei und das Wetter ist freundlich und einladend. Der Silver Ghost hat den Winter gut überstanden. Der Motor startet ohne Probleme.

Deutlich vor dem Fünf-Uhr-Tee erreiche ich Highclere Castle, so dass mir noch etwas Zeit bleibt, mich mit Mycroft und Mare im Kampf zu üben. Nach dem Tee brechen wir nach Exeter auf. Bevor wir Joes Haus aufsuchen, buchen wir eine Unterkunft in einem Hotel.

Joes Haus ist heute ungewöhnlich ruhig. Selbst die Katzen lassen sich nicht blicken. Als wir die Treppe hinauf kommen, entdecken wir, dass das Fenstermosaik zerbrochen wurde. Die farbigen Glassplitter liegen auf dem Boden vor uns. Mycrofts analytisches Auge erkennt sofort, dass von Innen mit etwas langem, etwa einem Schwert, einem Knüppel oder einer schweren Peitsche – vielleicht auch mit einem kräftigen Schwanz – auf das Fenster eingeschlagen wurde. Auch, wenn die Magie dieses Ortes nicht von diesem Fenster ausgeht, so erfüllt es mich doch mit Schwermut, diese Zerstörung zu sehen. Ich nehme mir vor, das Mosaik so bald wie möglich erneuern zu lassen.

Wir gehen nun weiter die Treppe nach oben in Joes Schlafzimmer. Wir blicken vorsichtig durch die offen stehende Tür. Mir stockt der Atem und meinen Freunden geht es nicht anders. Da sitzt er, der Hund, vor dem Schrank, hinter dem sich das Portal in die Traumlande verbirgt. Suchend und scharrend läuft er nervös vor dem Tor hin und her. Er kann nicht hindurch. Von uns nimmt er keine Notiz. Wortlos und zügig treten wir den Rückzug an. Niemand von uns will dieser Kreatur noch einmal zu nahe kommen. Auf Zehenspitzen steigen wir die Treppe wieder hinunter. Erst, als wir wieder im Auto sitzen, wagen wir wieder zu atmen.

“Ich fasse es nicht”, schimpft Mare plötzlich, “drei gestandene Männer treten feige die Flucht an.”
“Das ist nicht feige, das ist vernünftig”, widerspricht Mycroft ernst, “man nennt es auch Lebenserfahrung.”
Mare ist noch immer von der Idee besessen, der Kreatur eine Falle zu stellen und sie einzusperren. Ausführlich breitet sie ihre Pläne vor uns aus, doch keiner von uns hat wirklich Lust, sich näher damit auseinander zu setzen. Mare hat dafür kein Verständnis.
Schließlich reicht es Mycroft.
“Wenn du das unbedingt machen willst, steig doch einfach aus und versuche dein Glück”, sagt er, “wie lange wirst du brauchen?”
Mare sieht nachdenklich aus dem Fenster hinüber zu Joes Haus. Einen Augenblick glaube ich einen Anflug von Furcht in ihren Zügen erkennen zu können, doch diese weicht schnell einer trotzigen Entschlossenheit.
“Zehn Minuten”, sagt sie und schickt sich an, auszusteigen.
“Gut”, meint Mycroft, “wir fahren eine Runde um den Block und holen dich in zehn Minuten wieder ab.”
Er startet den Motor und setzt das Fahrzeug in Bewegung.
“Ob das so eine gute Idee ist, so ein junges Ding mitten in der Nacht allein auf der Straße stehen zu lassen?”, überlege ich laut.
“Wir sprechen hier von Mare”, wendet Mycroft ein. Fürwahr, für ein Mädchen ihres Alters ist sie ziemlich wehrhaft.
Als wir wie verabredet nach zehn Minuten wieder bei Joes Haus ankommen, finden wir Mare unbehelligt und gesund vor. Den Hund allerdings hatte sie nicht aus dem Haus locken und fangen können, was vielleicht auch besser so ist.

Wir hegen die Hoffnung, dass der Hund vielleicht irgendwann aufgeben und das Portal freigeben wird, doch als wir nach einer Stunde nachsehen, hockt er noch immer vor dem Schrank und sucht vergebens einen Weg in die Traumlande. Es lohnt nicht, länger zu warten. Schon jetzt würde es knapp, von Ulthar in den Verwunschenen Wald und wieder zurück zu reisen, bevor sich das Portal für zwei Wochen schließt. Wir verabreden, dass wir versuchen wollen, den Weg in die Traumlande über den Schlaf zu finden. Wem von uns es gelänge, der sollte die Pilze durch das Portal in Joes Haus werfen.

Wir legen uns schlafen und wenig später finde ich mich auf der Lichtung im Verwunschenen Wald wieder. Ich bin allein. Hier also liegen nun die Kugeln. Ich versuche, den Lichtkreis zu erkennen, von dem meine Freunde berichtet haben, aber ich kann nichts entdecken. Ich öffne unsere Traumlandtruhe, kleide mich an und nehme die Pilze heraus, bevor ich mich auf den Weg nach Ulthar mache. Dort suche ich Joes Haus auf. Die Wand, die das Portal in die Wachwelt bildet, wabert seltsam. Das war die letzten Male nicht so. Es ist, als würde das Wesen auf der anderen Seite des Spiegels kleine, lokal begrenzte Störungen im Raum-Zeit-Gefüge verursachen. Ich atme tief durch und werfe beherzt die Pilze durch die Wand in die Wachwelt. Die Störungsfelder werden plötzlich größer. Die Wand scheint sich zu bewegen, dehnt sich unter dem Druck mächtiger Pranken. Etwas will hindurch. Ich weiche zurück und beobachte flach atmend die Szenerie. Nach kurzer Zeit beruhigt sich das Beben in der Wand, die nun wieder ihre vorherigen Form annimmt. Ich atme erleichtert auf. Für einen Augenblick hatte ich geglaubt, er würde es gleich schaffen, durchzubrechen.

Als ich sicher bin, dass keine Gefahr von der anderen Seite droht, gehe ich nach draußen und halte Ausschau nach Kuro, doch ich sehe ihn nirgends. Ich erinnere mich dunkel, das Mare heute morgen etwas gesagt hatte, das mit Canas zusammenhängt. Sie braucht etwas von Esme. Ich überlege hin und her, komme aber einfach nicht drauf.